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14.06.05

Wie ein Webprojekt in den Raum findet
Annina Zimmermann

Derzeit gastiert das schweizerisch/österreichische Zweierteam ubermorgen in Basel. Lizvlx (Maria Haas) und Hans Bernhard sind 2000 bekannt geworden durch ihre Aktion „[V]ote -Auction“, eine Internetplattform, die Wählerstimmen der US-Präsidentschaftswahl zum Verkauf anbot. Für den Beginn einer Wanderausstellung mit Station in Basel, Dortmund und Kopenhagen haben sie ein neues Projekt entwickelt, das die Ästhetik von Bankauszügenuntersucht. So entstehen Bilder, die im Basler Forum für Kunst und Neue Medien [plug.in], aber auch an einem Stand an der Kunstmesse LISTE in der alten Brauerei Warteck gezeigt werden. Annina Zimmermann hat sich mit lizvlx und Hans Bernhard in Basel getroffen.

Ihr seid zeigt eure Arbeit wohl zum ersten Mal an einer Messe. Ist sie auch ein Kommentar zum Kunstmarkt?
lizviz: Wir berücksichtigen schon den Kontext der Kunstmesse, aber: Kommentar? Das klingt so kritisch. Ich bin nicht kritisch gegenüber der Messe. Es muss ja einen Markt geben für Leute, die was kaufen wollen – wär’ ja Scheisse, wenn’s keinen gäbe. Ich würd’s als Zeitverschwendung erachten, jetzt drüben auf der Liste etwas zu präsentieren, das nicht käuflich wäre. Wofür? Da ginge ich lieber in den Zoo. Im [plug.in] ist es anders: Der Raum bestimmt das Material, wir bestimmen das Thema.

Und was ist das Thema?
Hans Bernhard: Sowohl im [plug.in] wie an der Liste liegt Technologie zu Grunde: eine ziemlich ausbaubare Technologie, die man in verschiedenen Applikationen verwenden kann. Sie generiert Kontoauszüge. Du kannst am Bildschirm frei auf einer Maske eingeben, ob du eine Gutschrift, einen Eigeneinlage, eine Abbuchung etc. definieren möchtest, den Betrag eintippen, deine Kontonummer angeben etc. und über diese Maske einen Kontoauszug generieren.
Im [plug.in] zeigen wir acht auf Kunststoff gedruckte Bilder. Diese verwenden die generierten Vorlagen nicht in dem Sinne, wie man sich das für den täglichen Geschäftsverkehr vorstellen könnte, etwa um mit dem Bankauszug bei einem Kredithändler Geld zu erschwindeln. Der Bankauszug lässt sich schon ausdrucken, aber das Bild schaut ganz anders aus. Es ist sehr abstrakt.

Was passiert zwischen dem Formular, der quasi Fälschung eines normalen Bankauszuges und den abstrakten Bildern?
Hans Bernhard: Die Basisüberlegung ist die Technologie.
lizvlx: Man muss sich unter Technolgie jetzt nicht weiss Gott was vorstellen – das ist ein Skript von zwei Din A4-Zetteln.
Hans Bernhard: Aber schon High-Tech.
lizvlx: Sophisticated, ja, aber es ist Low-Tech - kein Javascript-Super-Engine-erarbeitet-mit-Windows-2000 64 B-blabla mit irgendwelchem Blödsinnszeug – denn das braucht es auch gar nicht. In der Umsetzung von Formular zum Output hätte das gar keinen Einfluss auf das abschliessende Design. Natürlich könnten wir auch 100% gefälschte, unterschiedslose Formulare machen. Aber das wäre nicht besonders interessant.
Hans Bernhard: Beim „Injunction-Generator“ boten wir ja die Möglichkeit, online pseudo-reale Gerichtsbeschlüsse zu generieren. Auch das «[V]ote –Auction»-Projekt war ein Fake-System. Diese Ebene ist für uns nicht länger interessant. Uns interessiert nun, das Ganze zu abstrahieren in die Ebene der Zeichen. Wir bewegen uns weg vom Konkreten, was wir Media Hacking nennen, wo wir mit Low-Tech-Mitteln eindrangen in die massenmedialen Kanäle und dort Messages absetzten und kommunizierten. Wenn du das einmal gemacht hast... Nun möchten wir uns treiben lassen und schauen, wo führt es uns hin?


Die Ästhetik re-arrangierter Bankauszüge

Ein Abstraktionsvorgang bedeutet ja, in einer komplexen Realität etwas „heraus zu ziehen“, einen Aspekt zu fokussieren und damit weiterzuarbeiten. Man interessiert sich für den Grid, der den Baum strukturiert und malt weiter mit dem Grid, zum Beispiel. Was genau wäre denn am Bankauszug, was euch interessiert?
lizvlx: Die Katze hat sich da ein bisschen in den eigenen Schwanz gebissen. In der Maske sind Pulldown-Menus eingebaut, damit nicht jeder «Bankomat-Abhebung» eintippen muss, sondern aus Standard-Termini wählen kann. Und diese Pulldowns zeigen die Willkür der Inhalte, die zugleich aber vorgegeben sind. Die Unfreiheit der Willkür ... in diese Richtung. Deshalb haben wir diese Pulldowns in die Verfremdung der Kontoauszüge mit hinein genommen, die ja eigentlich so nicht drin vorkommen würden – genauer: nicht sichtbar vorkommen würden. Das ist die inhaltliche Abstraktion.
Auf der andern Seite, formal ästhetisch, zählen wir Pixel. Ich habe angefangen, auf einem unserer eigenen, ganz normalen Bankauszüge Pixel zu zählen und deren Zahl dann reduziert, bis nur die relevanten Pixel noch da sind. Dass du es mit einer minimalen Anzahl von Pixeln gerade noch erkennen kannst. So habe ich das für das menschliche Auge Überflüssige weggenommen und auch die Farben und die Zeichen der Cooperate Identity der Banken.
Es wäre nun sicher ganz unterhaltend, wenn die Leute jetzt einfach ihre Bankauszüge fälschen könnten und sehen könnten, wie leicht das geht. Es geht uns aber vielmehr darum, sich mit der Ästhetik dieser Dokumente auseinanderzusetzen.

Weil diese unsere Art und Weise des Denkens prägt.
lizvlx: Genau.
Hans Bernhard: Den billigen Hype könntest du mit dem Fälschen locker abziehen.
lisvlx: Das wäre zu fad, auch zu einfach. Kontoauszüge, das ist zwar vielleicht unangenehm, sind superbanal zu fälschen. Auch eine Bancomatkarte wäre das – damit haben wir vor fünf Jahren schon gearbeitet. Ist ja logisch: Die Leute, die solches produzieren, arbeiten mit derselben Software wie die Fälscher.

Ihr entscheidet euch, nicht den Effekt, das grosse Publikum, zu suchen, nicht zu viel Spass zu bieten. Fühlt sich denn das unglaubliche mediale Echo, das eurer Plattform für den Verkauf von Wählerstimmen gelang, im Nachhinein billig an? Oder ist es ein Versuch, nicht in eine Spirale zu geraten, sich selbst überbieten zu müssen? Ist der Erfolg von „[V]ote -Auction“ ein Trauma, dem ihr jetzt mit gezielter Verrätselung und Ästhetisierung entgehen wollt?
Hans Bernhard: (Lacht.) Neinnein! Aber das war so sensationell, unschlagbar, dass es keinen Grund gibt... wir arbeiten ja weiter mit der «[V]ote –Auction». Wir stellen diese Arbeit – ja unsere wichtigste Arbeit in diesem Bereich – jeden zweiten Monat aus. Aber man ist nicht nur das, was man einmal gemacht hat. Wir wollen nicht im selben Bereich eine nächste Aktion machen, immer in dieselbe Kerbe hauen, so wie die etablierten Künstler, die ihren Erfolg dann einfach repetitiv wiedergeben, drehen und ausbauen.
Nicht Travelling Salesmen werden der eigenen Arbeit.
Hans Bernhard: Ich könnte das auch gar nicht. Ich sehe unsere Arbeit mit den Bankauszügen ja mehr als Forschung. Wie abstrakt kann man werden, dass der Rezipient noch versteht, was als Fragestellung dahinter steht, ohne dass man es ganz plakativ macht? Kann man daraus eine spezielle Ästhetik generieren, eben nicht diejenige der UBS, sondern unsere eigene ubermorgen- Ästhetik?

Der Impact, den die «[V]ote -Auction» hatte, verdankt sich ja nicht nur dem Interesse der User. Das System sah sich angegriffen und reagierte und produzierte selber wieder eine Ästhetik – das Video der Fernsehsendung von CNN zum Beispiel, die euer Projekt diskutierte und das ihr nun in eurer Ausstellung im [plug.in] zum Beispiel verwertet. Jetzt nehmt ihr es mit der Ästhetik von Banken und vermutlich auch ähnlich strukturierten Firmen auf. Aber werden diese sich darin überhaupt noch wieder erkennen? Sie werden sich im reinen Kunstkontext womöglich dafür gar nicht mehr interessieren.
lizvlx: Es wäre ja ein Leichtes gewesen, Kontoauszüge zu fälschen. Im Online-Banking kann man sich ja pdf- Dateine produzieren lassen, die eh auf jedem Drucker wieder anders rauskommen. So könntest du ja nie zwischen einem Original und einer Fälschung unterscheiden. Es gibt gar kein Original mehr. Natürlich bist du da schnell in einem Grenzbereich der Legalität. Nicht dass es jetzt mühsam wäre, wenn man illegale Sachen macht – das ist ja Wurst. Aber die Sache ist, dass man dann selber als Produzent derjenige ist, der das Illegale macht, während der User nur der Nutzniesser ist. In diesem Sinne nähmst du dem User die Verantwortung ab – das kann nicht Sinn und Zweck sein.

«[V]ote -Auction» war ja platziert in einem Markt der Aufmerksamkeit, kritisiert einen Markt, der Stimmen verkauft. Wie ist denn euer Verhältnis zum Kunstmarkt? Ist das einfach ein neutraler Ort, wo ihr Geld abholen möchtet?
lizvlx: Für uns teilt sich das weniger auf in einen Bereich von Kunst und Nicht-Kunst, sondern in einen Bereich «Fine Arts» und alles andere, das da nicht darunter fällt. Man hat halt einfach beobachtet, dass Leute die im Fine Arts-Bereich arbeiten, von vornherein ganz andern Kriterien unterworfen sind, sich dessen aber gar nicht so bewusst sind. Diese Kriterien sind dann oft in die Arbeit integriert. Da gibt es manchmal Leute, die zeigen dir etwas, das sie gemacht haben, selber gar nicht so toll finden, sich aber gut verkaufen lässt. Das könnte uns gar nicht passieren, nicht, weil wir irgendwie besser sind, sondern weil unsere Arbeitsweise eine andere ist. Von dieser Thematik, der Reibung mit dem Kunstmarkt, sind wir nicht so betroffen gewesen. So stehen wir dem auch ziemlich indifferent gegenüber. Diese Top-Prozent, die sich damit beschäftigen, einige wenige Bilder zu Wahnsinnspreisen zu verkaufen, haben mit dem Kunstmarkt auch nicht so viel zu tun. Solche Wahnsinnsmargen gibt es in allen Märkten.

Ist es nicht auch eine Entscheidung, jetzt nicht eine Dienstleistung zu verkaufen, was ihr ja potenziell tun könntet: Margen verlangen oder auch nur Nutzergebühren? Sondern mit einem Produkt zu handeln?
lizvlx: Das wäre so ein Dotcom-Szenario, das eh nicht funktioniert.
Hans Bernhard: Wir machen ja Dienstleistung. Wir sind ja im Kunstbetrieb drin und arbeiten auf Projektbasis, Ausstellungsbasis. Davon leben wir. Zudem haben wir bereits vor zwei Jahren entschieden, dass wir umstellen vom rein Digitalen und Produkte erarbeiten, weil uns das interessiert. Uns interessiert das Material, die Möglichkeiten von Archiv und Sammlung, das ganze etablierte System des Kunstbetriebes und des Kunstsammelwesens. Wir haben auch einfach einen anderen Output, wenn wir konkrete Vorgaben haben. Wir wurden jetzt auch oft eingeladen in Ausstellungen. Die «Range» geht jetzt von Malerei, Digitalem bis Video etc. Das hat auch mit der Zeit zu tun, die man einem Betrachter anbietet. Einen solchen Generator wie im [plug.in] hast du ja in zehn Minuten gesehen – danach kannst du dich an den Rhein runtersetzen und überlegen, was das soll. Ein Video schauen sich die Leute 20 Minuten lang an, das finde ich phantastisch. Auch mit grossen Drucken machten wir supergeile Erfahrungen in Museen – die haben eine Wirkung, die bekommst du mit digitalen Medien einfach so im Moment nicht hin. Wir können diese Medien mit Selbstbewusstsein benutzen, denn wir haben immer unsere digitalen Produkte auch noch im Rucksack und werden sie auch immer haben.
lizvlx: Das stimmt schon, was du sagst, es hängt aber schon auch mit dem ursprünglichen Begriff von Net Art zusammen. Natürlich ging’s da um digitale Mittel, das ist ja, was neu war. Aber noch wichtiger geht es um die Auseinandersetzung mit dem User. Wenn ich in einer Real-Life-Umgebung bin, in einem Ausstellungsraum, einer Galerie, dann ist der User halt ein realer Besucher. Und nicht einer, der gemütlich bei sich zu Hause sitzt und auch die fadeste, langsamste Webseite eine halbe Stunde lang runterladen kann, weil er daneben noch fünf andere Sachten macht. Er ist jetzt eben hier und fährt ja nicht durch die ganze Stadt, um sich für fünf Minuten was anzuschauen. Auch deshalb macht es Sinn, Sachen anzubieten, die auch Zeit brauchen. Auf diese Situation ist einzugehen, das ist bei Net Art halt wichtig – und macht es nötig, vielleicht auch einmal auf Canvas zu gehen.

Information:

ubermorgen: [F]original. Authentizität als konsensuelle Halluzination
[plug.in], St. Alban-Vorstadt 64, Basel (CH)

Öffnungszeiten: Mittwoch bis Sonntag, 14 bis 18 Uhr
während der Art/Liste: Donnerstag bis Sonntag, 10 bis 19 Uhr
Bis 3. Juli 2005.

Freitag, 17. Juni, 12 bis 13 Uhr
«Ein radikales Netz-Kunst-Projekt und sein Streben nach dem Kunstmarkt»
Diskussion mit Hans Bernhard und Lizvlx (ubermorgen) und zwei der KuratorInnen ihrer Ausstellungsreihe: Jacob Lillemose (artnode), Inke Arns (hartware)

Links:

»http://vote-auction.net
»ubermorgen.com
»[plug.in]