Das Duo ubermorgen kommt mit einer neuen
Arbeit nach Basel zu Gast.
Gemessen an ihrer Medienresonanz sollten Lizvlx (Maria
Haas) und Hans Bernhard zu den berühmtesten KünstlerInnen der
Welt zählen. Bis zu 450 Millionen Menschen sollen von ihrer «[V]ote-Auction»
erfahren haben. Ungezählte Interviews und Features, u.a. eine weltweit
ausgestrahlte halbstündige Diskussionsrunde auf CNN debattierten
die illegale Aktion ihres Künstlerlabels ubermorgen. Pünktlich
zur Wahl 2000, die George W. Bush zum US-Präsidenten machte, bot
ubermorgen den US-amerikanischen WählerInnen eine Online-Plattform,
auf der sie ihre Stimme meistbietend versteigern konnten. Das Angebot
des Stimmenkaufs unterläuft die Demokratie – jedoch bestimmt
nicht massiver, als die millionenschweren, von der Politik geförderten
Wahlkampfspenden grosser Wirtschaftsunternehmen. «Die Forschungsbedingungen
waren fantastisch,» so Bernhard in einem Interview, «wir konnten
Informationen in die globale Netzwerk-Matrix fallen lassen und sie reisen
sehen, morphen und zurückkehren. Wie ein Spin-Doctor konnten wir
ihnen dann einen neuen Dreh geben – sie mit andern Informationen
mischen, mit klassischem Wissen kombinieren. Das war möglich, weil
wir kein Ziel hatten ausser dem Experiment, keiner politischen Botschaft,
keinem Ideologischen Fundament dienen mussten – eine ideale Welt,
unser 'Labor'».
Die Justiz blieb nicht lange untätig. In Missouri, Illinois, Massachusetts
und Wisconsin wurden gerichtliche Verfahren eingeleitet, ubermorgen ist
bis heute die Einreise in die Vereinigten Staaten verwehrt. Bernhard erzählt
von Kommunikations- und Anwaltskosten um die 70'000 Euro. Dem hartnäckigsten
der Gerichte – Chicago – verdanken sie aber nicht nur nachhaltigen
Ruhm in der Medienkunstgemeinde, sondern auch einen kreativen Steilpass
für die nächste Arbeit. Das Gericht schickte seine einstweilige
Verfügung per Email(!) an den in Genf domizilierten Provider, der
die Domain prompt sperrte, obwohl die Schweiz nicht wirklich der nordamerikanischen
Gerichtsbarkeit unterliegt. Diese Art von Gehorsam, der die Legitimität
der Autorschaft unbefragt voraussetzt, wenn nur die richtigen Standards
bedient werden, inspirierte ubermorgen zur nun folgenden Serie der «Legal
Works».
In subversiver Überbietung des Systems boten Sie auf ihrem Server
von nun an die automatische Herstellung einer «gerichtlichen Verfügung»
im PDF- oder RTF-Format. Dieses Dokument behauptet auf Wunsch die Illegalität
einer beliebigen Webseite und fordert ultimativ deren Sperrung an die
Adresse des Registrars der Domain, des Eigners der Webseite und ausgewählte
Medienleute. Der sog. «Injunction Generator» wurde 2003 von
der Ars Electronica mit einer «honorary mention» im Bereich
Netz-Kunst ausgezeichnet.
Zwischen Fakt und Fiktion
Die Recherche der manipulativen Macht solcher elektronischer Dokumente
hält an. Mit «[F]original» haben ubermorgen dafür
eigens einen Begriff geschaffen, eine Kombination aus «to forge»
(fälschen) und «original». «Gültig ohne Unterschrift»
sind solche Schriftstücke keine Originale, und werden doch als authentische
Repräsentanten einer Tatsache gehandelt. Sie bestimmen zunehmend
und immer anonymer unsere Kommunikation mit Geschäftspartnern, Banken,
Ämtern. Die Wahrhaftigkeit dieser maschinell bzw. durch Software
erstellten Dokumente sei ja nur eine «konsensuelle Halluzination»,
so Kuratorin Inke Arns unter Bezug auf William Gibsons Definition des
Cyberspace. Das denkfaule Vertrauen, das wir solchen «Pixel auf
dem Bildschirm, Tinte auf Papier» schenken, mündet allzuschnell
in falschen Autoritätsglauben. In ihrem neusten Projekt locken ubermorgen
deshalb wiederum mit einem Köder am Rande der Legalität. Die
erste Station des vom Basler [plug.in] gemeinsam mit Dortmund (hartware
medien kunst verein) und Kopenhagen (overgaden) organisierten Wanderausstellung
thematisiert nämlich «Banking» und gastiert u.a. auch
an der Kunstmesse Liste.
Mit «[f]original» bezeichnen ubermorgen
elektronische Dokumente zwischen Fiktion und Fakt.
Hier werden täglich leere Bilderrahmen mit neu generierten bzw. re-arrangierten
«[f]originalen» Bankauszügen gefüllt. Sozusagen
als Erinnerungsstütze oder auch nur temporäre Erfüllung
monetärer Fantasien können sie auf den eigenen Namen ausgestellt
und käuflich erworben werden. Denn weshalb sollten die Bildpunkte
(Pixel und Tinte) eines Bankauszug, eines Minusstrichs vor dem Saldo etwa,
in leicht verschobener Position nicht genauso treffend Realität abbilden?
Wo der Kontostand doch eh nur eine von vielen möglichen Realitäten
darstellt? Würden alle Kunden ihre Vermögen zugleich von den
Konten abheben, so crashte selbst die seriöseste Schweizer Bank.
Das sollte sich, meinen ubermorgen, in Erinnerung rufen, wer sich von
solchen Zahlen das Leben diktieren lässt. Auch wenn ich dann wiederum
umgekehrt hoffe, die Postüberweisung meines Arbeitgebers sei zwar
Fiktion, lasse sich aber bald schon gegen mehr als eine Pizza eintauschen.
Information:
ubermorgen: [F]original. Authentizität
als konsensuelle Halluzination
[plug.in], St. Alban-Vorstadt 64, Basel (CH)
Öffnungszeiten: Mittwoch bis Sonntag, 14 bis 18 Uhr
während der Art/Liste: Donnerstag bis Sonntag, 10 bis 19 Uhr
Bis 3. Juli 2005.
Donnerstag, 9. Juni, 20 Uhr: Vernissage
Freitag, 17. Juni, 12 bis 13 Uhr
«Ein radikales Netz-Kunst-Projekt und sein Streben nach dem Kunstmarkt»
Diskussion mit Hans Bernhard und Lizvlx (ubermorgen) und zwei der KuratorInnen
ihrer Ausstellungsreihe: Jacob Lillemose (artnode), Inke Arns (hartware)
Reservation: T. +41/61-283 60 50, office@iplugin.org